Es möge Erdäpfel regnen und Rum schneien

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 6 Min.

Hätte in der Planwirtschaft mal jemand daran gedacht, dass auch frische Tomaten und Paprika Freude bereiten können, vielleicht wäre die Geschichte anders verlaufen. Österreicher sind oft pragmatischer als die Piefkes - man denke an den sozialen Wohnungsbau -, und deshalb gibt der Mandelbaum Verlag aus Wien seit etlichen Jahren neben linker Literatur auch sorgfältig edierte Kochbücher heraus, aus denen man eine Menge über die Zubereiter und Esser dieser Gerichte, Sitten und Gebräuche erfährt.

»Besoffene Kapuziner und andere Rezepturen zur kulinarischen Verbesserung Mitteleuropas« ist schon mal so ein mit Sorgfalt und Schmäh verfasstes Exemplar. Nicht nur die Kartoffel ist ein Migrant, Lebensmittel und Rezepte wandern durch die ganze Welt, nebst den zugehörigen Verständnissen und Missverständnissen. Gans, Kaninchen, Zucchini, Spargel, Saibling - zu jedem Rezept gibt es die abenteuerlichsten Geschichten aus aller Welt. Zum Kochen sollten Freunde eingeladen und aus dem Buch vorgelesen werden, ich empfehle »Die Umvolkung des Schweins« und »Kiniglhasenfatwa« (was für ein klangvoller Name). Für Nordlichter hält das Buch ein Glossar der österreichischen Ausdrücke bereit.

Wer als gelernter DDR-Bürger mit den Digedags und dem glücklosen Geheimdienstoberst Meinrath das österreichische Triest bereist hat, weiß, dass diese Stadt ein politischer Irrsinn ist, aus dem einen nur das gute Essen retten kann. Der Schriftsteller Jörg Uwe Sauer nennt Triest in seinem leider vergriffenen Roman »Das Traumpaar«, eine »Metropole des Wahnsinns«. Das »Triester Kulinarium mit 150 Rezepten« versammelt den perfekten Mix aus Meeresfrüchten, deftiger Voralpenküche und Pasta. Dazu Kuchenrezepte und selbstgemachter Eierlikör. Probieren Sie unbedingt die Sauerkrautsuppe aus!

Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Rückert wussten es, die iranische Kultur ist der Inbegriff von Verfeinerung. Auslöser der Revolution von 1905 im Iran, die später von Truppen des Zaren und der Queen niedergeschlagen wurde, war übrigens eine Aktion der korrupten Regierung gegen die Zuckerhändler, die zu Massenprotesten führte. Kaufleute und Handwerker besetzten die britische Botschaft und sammelten Lebensmittel für die Demonstranten gegen die Schahherrschaft. Die Erinnerung daran ist immer noch gegenwärtig, auch die Rolle der reaktionären Mullahs. »Pistazien & Rosenduft. Die Kunst der persischen Küche« wartet mit zumeist reisbasierten Gerichten auf, die leicht und lecker sind; unentbehrliche Gewürze wie Granatapfel, Kurkuma, Zimt und Safran sind mittlerweile in Deutschland erhältlich, dazu Minze, frische Kräuter und gutes Olivenöl - es braucht keine teuren Zutaten, nur Sorgfalt und einen Wochenmarkt. Toy muborak!

Pannonien ist nicht die geografische, wohl aber die ethnografische Mitte Europas, in der die lateinische Schrift einträchtig neben der kyrillischen steht. »Husarenkrapfen & Damenkaprizen. Großmutters Banater Backbuch« entführt uns in die 1920er bis 1930er Jahre. Von Keks, Honigkuchen bis Bohnentorte (das gibt es wirklich!) ist alles dabei, und das Banater Kommissbrot hat nichts mit freudlosem Landserfraß, dafür mit Nüssen und Rosinen zu tun. Die nach dem ungarischen Revolutionär Lajos Kossuth benannten Kipfl symbolisieren in den Zutaten den Gleichheitsgrundsatz, während der Verzehr von Lebkuchen mit Zitronenaroma nach heidnischem Brauch die Fruchtbarkeit bei Mensch wie Tier befördern soll. Probieren Sie das aber lieber nicht an Zwergkaninchen aus, wenn Sie keinen großen Garten haben.

Weil die Georgier die Verteilung der Welt an die Menschheit betrunken verschlafen hatten, wies Gott ihnen ein Plätzchen zu, das er eigentlich sich vorbehalten hatte: seinen Garten. Damit war der Grundstein gelegt für »Die Georgische Tafel« und eine Küche, in der zwar Fleisch vorkommt, aber nicht die erste Geige spielt. Wichtig sind Walnüsse, Erd- und Brombeeren, Granatapfel, Kräuter, Joghurt und Frischkäse. Sämtliche Rezepte lässen sich recht einfach nachkochen, die meisten Zutaten finden sich auf Wochenmärkten. Doch Vorsicht: Gerichte wie Khatschap’uri (Käsepastete) sind auf den Energieverbrauch in Höhenlagen ausgerichtet, also halbieren Sie die Mengenangaben oder verdoppeln Sie die Zahl der Gäste. Zur georgischen Tafel gehören viel Zeit, Wein und Trinksprüche. Die besten Weine aus bäuerlichen Kooperativen werden u.a. in Jena, Darmstadt, Berlin und Dresden direkt vertrieben. Aber lassen Sie die Finger von Flaschen mit Stalin-Etikett, das ist eine übel gepanschte Zuckerbrühe, die Kopfschmerzen verursacht.

Die deutscheste aller Knollen kommt eigentlich aus Chile. Spanische Krämer verkauften sie zu überhöhten Preise den indigenen Minenarbeiter in Peru, weshalb die Kartoffel als Sklavenspeise galt. Im Gegensatz zur Süßkartoffel, die der adligen High Society vorbehalten war. Die Kartoffel erschien wahlweise als geschmacklos oder als exotische Zierpflanze. In Portugal und Spanien wurde sie für Notzeiten angebaut. 1746 erließ Friedrich II. von Preußen anlässlich der pommerschen Hungersnot den ersten Kartoffelbefehl, die Pastoren hatten als »Knollenprediger« die Bauern über die Vorzüge der neuen Speise aufzuklären. Die Kartoffel ist sehr anpassungsfähig, schnell entwickelten sich unzählige Arten, leider auch die Industriekartoffel, die gewaschen und poliert in Supermärkten angeboten wird und durch Oxidation leicht einen metallischen Geschmack annimmt. Alles, was man mit Kartoffeln anstellen kann, findet sich in »Es möge Erdäpfel regnen. Eine Kulturgeschichte der Kartoffel«, und das ist eine ziemliche Menge: Triester Erdäpfelstrudel, litauische Krommbierewurscht mit Muskat und Majoran, irische Cobbledy mit Milch und feingehackten Zwiebeln, in Rinderbrühe gegarte und mit Käse gratinierte Pommes savoyardes bis zu böhmischen Rüben-Erdäpfeln und Hoppel-Poppel. Verfasst hat das Buch die Historikerin Ingrid Haslinger, »Tafelspitz & Fledermaus. Die Wiener Rindfleischküche« von ihr ist ebenso zu empfehlen.

Geraffelte Rote Beete lehrte in Kindergärten das Fürchten und hält sich als Sättigungsbeilage bis heute. Dass man aus der gesunden Knolle Finessen wie Carpaccio und Rübendip machen kann, verrät Margot Fischer in den »Kleinen Gourmandisen«. Von ihr stammt auch »Essbare Wildpflanzen für Einsteiger«, ein Hammerbuch für Naturfreunde und Gourmets.

»Wohl bekam’s! In hundert Menus durch die Weltgeschichte« klärt auf, was u.a. bei Napoleon, auf der Titanic und der 40-Jahr-Feier der DDR gereicht wurde, ist aufwendig gestaltet, lehrreich, amüsant und das ideale Geschenk. Zugleich erfährt man eine Menge über die politische Sprengkraft der kulinarischen Kunst.

Auch Trinken ist eine Kunst. Sechs sinnlos übereinandergestapelte Schnäpse mit Strohhalm sind ein Verbrechen und tun weder dem Gaumen noch dem Kopf gut. Der Dichter Orhan Veli sinnierte über Trunkenheit in der Luft, der großartige Wolfgang Hilbig trank seinen Wein als Kenner in der Kneipe, Modeschriftsteller begnügen sich mit fadem Beck’s, und so lesen sich dann auch ihre Texte. Alkohol ist eine Kulturleistung, macht den Geist frei und unfrei, verursacht und verhindert Kriege, sollte also mit angemessenem Respekt behandelt werden. »Die Schule der Trunkenheit«lehrt diesen, klug und unterhaltsam, klärt über die Sinnhaftigkeit von Cocktailrezepturen auf und die Herkunft von Sherry und Wilthener Goldbrand und wird also eine Pflichtlektüre von dem Rezensenten genannt, der sich etliche Jahre Brot, Bier und Buch als Barmann verdiente.

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